Der Hexenbruch, vor dem 2. Weltkrieg noch fast unbebaut, ist heute ein massiv bebauter
Ortsteil von Höchberg. Um das Aussehen der Flur von damals nachzuempfinden,
wollen wir einen fiktiven Rundgang machen: Wir versetzen uns dazu in das Jahr
1935. Unser Weg soll uns führen: Vom Karwinkel bis zum Waldrand, von dort den
Feldweg nach Osten (auf dem heutigen Seeweg) bis zur Stadtgrenze am Hexenbruchweg.
Wir gehen auf diesem ein Stück zurück, um dann in den Zugangsweg zum Pulvermagazin einzubiegen
(heute Allerseeweg). Auf Feldwegen spazieren wir bis zum Waldrand. Die
Kaiserstraße, der Zeller Weg (beide im Wald) und die Aschaffenburger Straße bringen
uns zum Ausgangspunkt zurück.
Wir treffen uns an der Kreuzung Hauptstraße - Aschaffenburger Straße und überqueren
diese in Richtung Karwinkel (Karwinkel und Klettenrain hatten damals
einen Anschluß an die Hauptstraße). Hier stoßen wir auf das Eingangstor der 1927
gegründeten Holz- und Bauwarenhandlung Martin Spiegel, allgemein
„Brietermärtle“ genannt. Nach kurzer Wegstrecke auf dem geschotterten Weg lassen
wir die letzten Häuser hinter uns. Hier müssen wir etwas zur Seite gehen, ein höchberger
Bauer fährt mit seinem Pferdegespann auf den Hexenbruch. Nach ca. 200
Metern biegen wir nach links ab, der schmale Pfad geradeaus führt in den großen
Buchnerschen Steinbruch. Unser Weg führt geradewegs zum Waldrand. Rechts des
Weges liegen große Felder bis zum Steinbruchsgelände. Linker Hand sieht man
Streuobstwiesen. Diese verdecken zwei kleinere Steinbrüche.
Am Waldrand angekommen, ersteigen wir mit einigen Schritten eine kleine Anhöhe:
ein idyllischer Ort. Eingerahmt von Büschen steht dort eine Bank. Hier stand bis
1914 die mächtige „Loseiche“. Sie soll einen Umfang von 4,5 Metern gehabt haben.
An der Loseiche waren wohl früher die gemeindeeigenen Äcker in bestimmten Zeitabständen
verlost worden. Mit diesen gemeindeeigenen Äckern dürfte das Gebiet
Klettenrain gemeint gewesen sein. In Franken waren gemeindliche Flächen meistens
schlechtes Feld oder Weide. Die Äcker östlich des Waldes und an der Mulde der
heutigen Münchner Straße waren gute Lößböden.
Bei der Bank angekommen, wenden wir uns nach Osten. Ein weiter Blick zeigt uns
den kleingegliederten Hexenbruch. Im Wechsel Wald, militärisches Gelände, Äcker,
Streuobstfelder und Steinbrüche. Links, halb verdeckt vom Waldrand, das Flurgebiet
„Forstäcker“. Anschließend eine kleine Ödfläche, eingerahmt von Lesesteinhügeln
und von Hecken bedeckt. Ganz oben auf der Höhe etliche hohe Bäume. Einige Gebäude
kann man hinter Schwarzdornhecken erkennen: das Pulvermagazin. Etwas
links, in einiger Entfernung, ein stillgelegtes Steinbruchgelände, eingerahmt von
Schlehenhecken und Heckenrosen. Talseits die Abraumhalden, mit Robinien bewachsen.
Spazierplan.
Setzen wir unseren Spaziergang in Richtung Würzburg fort. Nach ca. 100 Metern
teilt sich der Weg. Wir entscheiden uns für den rechten Abzweig, betrachten aber
noch die Ödfläche im spitzen Winkel der sich trennenden Wege. Geologisch gesehen
liegt der Hexenbruch im Bereich des Hauptmuschelkalks. In diesen Schichten des
Muschelkalks sind die Äcker oft mit losen Steinen übersät. Seit Generationen schon
werden hier Steine aufgelesen und auf Ödflächen - wie auch hier - abgelagert. Diese
Naturinseln sind von besonderem Reiz: größtenteils ist die Ödfläche bewachsen, wir
sehen Schwarzdorn, unterbrochen von Weißdorn, Heckenrosen und Hartriegel, mittendrin
steht ein Birnbaum, der im Herbst kleine, aber süße Früchte trägt. Der Boden
ist mit einer niedrigen Grasnarbe bedeckt. Die Lesesteinhaufen sind, wenn sie sich
nicht gerade im Bereich von Hecken befinden, fast kahl. Bei einem kleinen Abstecher
ins Innere der Fläche entdecken wir im niedrigen Gestrüpp eine Kuhle, in der
ein Hase Schutz vor dem Wind sucht.
Weiter führt uns der Weg zwischen Feldern hindurch. Wir passieren eine dichte
Hecke rechts des Weges, um dann - etwas erschreckt - auf die linke Seite zu wechseln:
Wir sind am aufgelassenen Buchnerschen Steinbruchgelände angelangt, ca. 15m
tief fällt das Gelände gleich neben dem Weg ab. Ein Stück Hecke hängt über den
Abgrund, Stacheldraht bewahrt einen seiner Befestigungspfosten vor dem Absturz.
Hier ist die tiefste, fast vegetationslose Stelle dieses Steinbruchs. Im östlichen, weniger
tiefen Teil und auf Abraumhalden stehen Kirsch-, Apfel- und Zwetschgenbäume.
Ein Stück weiter des Wegs steht ein hoher, markanter Birnbaum. An dieser Stelle,
etwas weiter zurück, ist der Geßnersche Steinbruch. Unser weiterer Weg hat nun ein
leichtes Gefälle (heute verläuft an der Stelle dieses Feldweges der Seeweg,
der auch jetzt noch bis zur Norbertstraße ein Gefälle aufweist). Hier treffen wir den
Bauern, der uns am Karwinkel überholt hat, er bearbeitet nun sein Feld. Wir fragen
ihn nach seiner Arbeit, und er erklärt uns: Im Herbst wurde der Acker umgezackert
(umgepflügt), ezert (jetzt) wird geeicht (geeggt) und in der nachste Wuche seabt ih
Rangersche (in der nächsten Woche säe ich Futterrüben). Weiter erzählt er von den
stark unterschiedlichen Bodenqualitäten der Äcker hier, weiter oben sind sie steiniger
als hier. Im großen und ganzen ist auf dem Hexenbruch ein fruchtbarer Boden,
der Klee hat einen hohen Futterwert, die Kartoffeln schmecken gut, vor allen Dingen,
wenn es „alle Klößtag mal regnet“ (in Franken gab es früher jeden Sonntag
Klöße, d. h., wenn es öfter mal regnet, gibt es auf dem Hexenbruch gute Ernten).
Auf der rechten Seite ist nun das erste Wohnhaus des Hexenbruchs sichtbar (heute
Seeweg 42, Erbauer: Christian Müssig, 1934). Ein Wohnhaus, ein kleiner Stall, darüber
das Heulager, anschließend die Holzlege mit dem „Hackklotz“ und dem
„Dengelstock“. Wir hören den Hofhund anschlagen, eine Frauenstimme bringt ihn
mit „Rex, Ruhe!“ wieder zum Schweigen.
Abbildung 3-1: Am Seeweg vor 1960.
Blick gegen Osten; links vor den Häusern der verfüllte See
(Standplatz jetzt Seeweg 38).
Etwas weiter sehen wir talseits einige eingezäunte Grundstücke: Gärten mit Obstbäumen
und Gemüseanbau. Es fällt auf, daß sich diese Grundstücke alle lang und
schmal den Hang hinunterziehen. Dies ist eine Auswirkung der fränkischen
Erbgesetze, die die Aufteilung des Grundbesitzes unter den männlichen Nachkommen
vorsahen. So wurden Grundbesitz und Haus unter den Söhnen geteilt; Töchter
bekamen nur „fahrendes Gut“, die Mitgift.
Dieser Südhang des Hexenbruchs war teilweise bis etwa 1880 mit Wein bepflanzt.
Ein Gartenbesitzer erzählt, er habe beim Bearbeiten des Bodens noch in den 30er
Jahren Weinwurzelstöcke ausgegraben.
Gegenüber den Gartengrundstücken sehen wir auf der linken Seite des Weges trotz
des Hanganstiegs eine Mulde im Gelände. Diese Vertiefung reicht für einen
„Frühjahrssee“, der beträchtliche Ausmaße erreichen konnte. Heuer aber, 1935, im
Jahr unseres Spaziergangs, sehen wir an der tiefsten Stelle nur eine ovale, vegetationslose
Fläche mit breiten, tiefen Rissen im Erdreich.
Etwas weiter des Wegs machen wir nach talseits einen kleinen Abstecher und sehen
in den nächsten, den Steinbruch von Haaf und Guckenberger.
Beim Weitergehen liegt links des Weges wiederum eine Ödfläche, die schon zu
Würzburg gehört (das Haus Allerseeweg Nr. 36 steht heute auf dieser Fläche
und gehört jetzt zu Höchberg). Hier biegt auch der Weg zum Pulvermagazin ab, in
den wir auf dem Rückweg einbiegen. Beim Weitergehen beobachten wir, wie talseits
die nächsten Häuser entstehen: 1934/1936 wurden durch die Erbauer Fechner,
Franzmann und Schicker die Häuser mit den heutigen Adressen Seeweg Nr. 90, 88
und 86 erbaut, wobei das Haus Nr. 90 inzwischen durch einen Neubau ersetzt ist.
Abbildung 3-2: Die 1934/36 erbauten Häuser am Seeweg (heute Nr. 86/88/90).
Linkerhand liegt die Abraumhalde des namengebenden Steinbruchs, des Hexenbruchs.
Selbst auf diesem kargen Boden wird Getreide angebaut; heute ist diese Fläche
ein Landschaftsschutzgebiet. Gleich anschließend zieht sich die Gefällestrecke nach
Würzburg hinunter und hier ist auch die Gemeinde-/Stadtgrenze. Eine steile Treppe
gen Tal bildet die Grenze zwischen Höchberg und Würzburg, früher die Innere
Landwehr. Die Innere Landwehr war ein einfacher Graben mit einer undurchdringlichen
Hecke auf einer Seite zum Schutz gegen umherziehendes Gesindel und Horden.
Die Äußere Landwehr, ein Doppelgraben mit Bepflanzung, zog sich von der
Hettstadter Steige bis nach Kist und ist im Waldbereich „Finsterseeholz“ in der Nähe
des Erbachshofs noch heute sichtbar.
Wir machen nun kehrt und gehen den Weg ein Stück zurück bis zum Zugangsweg
zum Pulvermagazin, in den wir einbiegen (heute Allerseeweg).
Ein hoher Maschendrahtzaun zeigt uns das militärische Gelände an, zwei bewaffnete Soldaten,
die Wache auf Rundgang, begegnen uns. Der breite Weg führt bis zum Eingangstor des
Pulvermagazins, ab dort gehen wir auf einem schmaleren Weg entlang des Zauns.
Abbildung 3-3: Das Wachhaus des Pulvermagazins am Eingangstor (heute Allerseeweg).
Als wir am Wachhaus vorbeikommen, riskieren wir einen Blick durch die offenen
Fenster auf etliche Soldaten, die an einem großen Tisch beim Kartenspiel sitzen. Der
Weg ist nun auf beiden Seiten von mächtigen Schwarzdornhecken gesäumt, an deren
Ende - ganz untypisch - eine Kopfweide steht. Auch hier entsteht in regenreichen
Frühjahren an der Wegböschung ein See.
Nach einem Blick nach links ins Tal auf das alte fränkische Haufendorf Höchberg,
das von Bergen eingerahmt und von der Pfarrkirche überragt wird, biegen wir nach
Norden in einen weiteren Feldweg ein, der nun durch Felder führt, aber nochmals auf
das Pulvermagazin - das Westtor - stößt.
Wir folgen nun dem Weg, der zum nahen Wald führt. Bis zum Bau der Aschaffenburger
Straße im Jahre 1893 war dies der Fahrweg nach Waldbüttelbrunn sowie auch
darüber hinaus - mit Anschluß in Roßbrunn an die „Fernstraße“ Paris - Prag.
Abbildung 3-4: Feldweg östlich der Kaiserstraße im Herbst 1973.
Am Waldrand angekommen, gehen wir dort auf der sogenannten Kaiserstraße weiter
und befinden uns sodann auf Zeller Gemarkung. Dieser Wald gehörte bis Säkularisation
zum Prämonstratenserkloster Oberzell, heute ist es Staatswald. Im Jungwald
auf der linken Seite stehen weitgehendst Laubbäume. Rechts ist der sogenannte
„Hochwald“, die Zeller Waldspitze; alte, prächtige Buchen (etwa 1950/55 neu
aufgeforstet).
Katasterplan 1936
Martin Wilhelm berichtet, daß die Zeller Waldspitze früher ein beliebter Platz für
Waldfeste war. Bei näherem Nachforschen ist dies eine interessante Tatsache: Die
Zeller Brauerei Kinzinger (später Bürgerbräu in der Zellerau) veranstaltete zusammen
mit dem Gasthaus „Zur Rose“ im Mai jeden Jahres (höchstwahrscheinlich bereits
vor 1872) ein Waldfest auf der Zeller Waldspitze. „Mit Speise, Trank und
Tanzmusik“, wurde angekündigt. Ein Zeitzeuge aus Zell berichtet, daß noch in den
20er Jahren ein großer Zulauf aus Würzburg und den umliegenden Gemeinden
herrschte.
In diesem Zusammenhang wird allerdings auch von einer „bierernsten“ Begebenheit
berichtet: 1866 wurde der Bierpreis von sechs auf sieben Kreuzer erhöht, was schon
großes Murren auslöste. Als 1872 die nächste Erhöhung auf acht Kreuzer kam, war
die Bevölkerung empört, vor allen Dingen die vielen Soldaten, die in Würzburg stationiert
waren. Am 3. Mai 1872 rotteten sich die Soldaten zusammen und forderten
eine Rücknahme der Bierpreiserhöhung. Bei der beliebten Gaststätte „Zum Stadtkeller“,
nur Bauchskeller genannt (heute steht dort an der Zeller Straße das
Landkreisgymnasium) eskalierte der Protest der etwa 800 Soldaten. Es wurden Fenster
eingeschlagen, Tische und Stühle zerstört. Für den darauffolgenden Sonntag befürchtete
Friedrich Koenig, Bürgermeister von Zell und Chef der Schnellpressenfabrik
Koenig & Bauer, das schlimmste für Zell als Würzburger Ausflugsort und die
Brauerei Kinzinger. Er forderte von den Behörden Schutz. Bezirkshauptmann Nickel
kam in Uniform, eine Kompanie Soldaten wurde zum Schutz abkommandiert und
bei Koenig & Bauer in Oberzell verköstigt. Schließlich das gelungene Ablenkungsmanöver:
Am Sonntag wurde um 13.30 Uhr mit Musik aus der Kaserne ausgezogen,
zum gerade stattfindenden Waldfest auf der Zeller Waldspitze. Die Ruhe war gerettet,
der neue Bierpreis ebenfalls.
Wir gehen auf der Kaiserstraße noch etliche hundert Meter weiter und stoßen dann
auf den Fabrikerweg, der uns nach links zur Aschaffenburger Straße und zum Ausgangspunkt
zurückbringt.
Abbildung 3-5: Gaststätte „Zum Stadtkeller", nur Bauchskeller genannt, 1959.
Hier fand die Bierpreisrevolte 1872 statt.
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